
Bruno Streich zeigt „Satellites“, Werke aus der Serie, in der sich
der Künstler mit der Form künstlicher Erdtrabanten auseinandersetzt – und
damit mit Fragen nach der „guten Form“ und Funktionalität im Allgemeinen.
Bruno Streich ist Dipl. Ing. ETH (Luft- & Raumfahrt).
Bruno Streich setzt mit seinem Werk Fragezeichen zu Sehgewohnheiten und Alltagsästhetik.
Bruno Streich rückt Unsichtbares und Übersehenes ins Blickfeld und schafft so neue Akzente.
Dies gilt für seine Gemälde, die Reduktionen und Magazine Remains wie auch für seine Skulpturenserie der Satellites. Als Raumfahrtingenieur weiss Streich genau, wie ein Satellit auszusehen hat, was ihn ausmacht, was diese abstrakte Form für den Laien zum Satelliten macht. Er kennt den Gencode des Satelliten, quasi. Um den Code einer visuellen Erscheinung geht es auch in der Malerei, in der vertraute Bilder einer radikalen Reduktion unterworfen werden mit dem Ziel, das Bild nur noch als Essenz der Wahrnehmung zu definieren und damit auf alles überflüssige zu verzichten. Die Arbeit des Raumfahrtingenieurs am Gemälde. Die Form eines Satelliten ist definiert durch den Verwendungszweck des Geräts, wie dies im jeweiligen Pflichtenheft beschrieben ist. Bruno Streich entreisst den Strukturen gerade dieses Pflichtenheft und lässt die Formen stehen im Zwischenraum zwischen Form und Funktion und gibt ihnen somit Raum für gedankliche Inhalte.
Die technoide Hülle verändert sich, Raum für Assoziationen entsteht, Rätselhaftes und Poetisches fliesst mit ein. Die Form der Skulpturen kann raketenähnlich sein, breit ausladend mit Beinen, kompakt-kugelig mit einer trapezförmig aufgelösten Oberfläche oder grad als Funkantenne in Schüsselform gebaut sein. Manchmal sind Satelliten komplex geformt, haben zerklüftete Oberflächen, denen das fast elegant reduzierte, das ihre Artgenossen so oft auszeichnet, fehlt. Aber das ist wirklich selten. Viel häufiger sind Symmetrien, ausgewogene und aufs wesentliche beschränkte Kompositionen, die einem Brancusi viel näher sind als einem Hirschhorn – in jeder Beziehung.
Bruno Streich schafft den Spagat und überwindet mühelos die Kluft zwischen guter Form und geschliffener Eleganz und diesem fast brutal Funktionalen, indem er seine Satelliten roh, mit krude verklebten Holzplatten herstellt, das Material so weit entfernt von dem, was der gängigen Vorstellung entspricht, und doch in der Form so nah, dass kein Zweifel über die wirkliche Funktion der Streich‘schen Satelliten aufkommen kann: Skulpturen zu sein, die unser Denken über das, was Form und Funktion definiert und bewegt, anzuregen und vielleicht in neue, ein wenig grenzenlosere Bahnen zu lenken vermögen. Dass dieser Prozess dabei über Objekte läuft, denen der normale Erdenbürger nie (und wenn, dann als Ausstellungsdummy in einem Technikmuseum) begegnet, ist bedenkenswert. Unsere Welt besteht so weit aus medial vermittelten Bildern, dass wir die Unterscheidung zwischen real erlebtem oder gesehenem und solchem, dass wir nur aus Presse, Film und Fernsehen kennen, gar nicht mehr wahrnehmen, geschweige denn, dass wir diesen Unterschieden irgend eine Bedeutung beimessen könnten. Vielleicht ist das eine der wichtigen Leistungen der Satellites von Bruno Streich: dass sie die Abwesenheit des realen persönlichen Erlebnisses bewusst machen, und es nachholen, irgendwie.
Andres Pardey
Kunsthistoriker, Vize-Direktor Museum Tinguely, Basel